Zehn Patienten – vier Wochen

Die geringe Zahl der Patienten und die Kürze der Zeit erlauben nur begrenzt, die Resultate einer ketogenen „Stoffwechseltherapie“ bei Krebserkrankungen zu beurteilen. Immerhin erwies sich die Diät als sicher und machbar, bei Patienten mit starker Ketose wurde das Fortschreiten der Erkrankung aufgehalten oder gar eine Verbesserung erzielt [1].Die Versuchsteilnehmer hatten eine unheilbare und fortgeschrittene Erkrankung verschiedener Organe, bei denen der Krebs auch nach zwei oder mehr (bis zu zehn) konventionellen Behandlungen weiter wuchs (PD, „progressive disease“). Die PET-Untersuchung am Montefiori Medical Center in New York hatte eine hohe Zuckeraufnahme ihrer Tumoren gezeigt. Sie nahmen dann an der klinischen Studie RECHARGE (Reduced Carbohydrates in Aggressive Resistant Tumors) teil, Details der Studie sind bei clinicaltrials.gov beschrieben.

Ziel des Ansatzes war die Verringerung der Insulinsekretion durch eine Begrenzung der Kohlenhydrate in der Nahrung. Den Patienten wurde eine Beschränkung auf 5 % der Kalorien auferlegt, in der Praxis waren es dann aber doch 9 %. Bei einigen Patienten sank trotzdem der Insulinspiegel um 75 bis 90 % – bei diesen Patienten stieg dann der Spiegel der Ketonkörper im Blut auf das 10 bis 35-fache der Ausgangskonzentration. Es waren gerade diese Patienten (fünf) mit einer ausgeprägten Ketose (durchschnittlicher Anstieg 16,6-fach), bei denen die Erkrankung stabil wurde (SD, „stable disease“) oder bei denen die PET-Diagnose am Ende der Studie eine Verbesserung zeigte (PR, „partial remission“). Bei vier anderen Patienten schritt die Erkrankung fort (PD), bei ihnen war der Spiegel der Ketonkörper nur um einen Faktor fünf (5,1) angestiegen. Eine Patientin fiel aus dem Rahmen, ihr Tumor war stabil trotz eines moderaten (Faktor 3) Ketoseanstiegs. Allerdings war das Tumorwachstum bei ihr generell außergewöhnlich langsam (im Gegensatz zu den neun anderen Patienten), sie lebt schon seit 14 Jahren damit.

Die Autoren um den Nuklearmediziner Eugene Fine machen deutlich, dass die Beobachtung eines positiven Effekts bei gerade mal fünf Patienten nicht besonders schlagend ist – der Verlauf der Erkrankung auch bei aggressiven Tumoren kann ganz variabel sein. Es sei aber schon bemerkenswert, dass der positive Effekt deutlich mit der Stärke der Ketose korreliert. Das passt zu früheren Zellversuchen der Autoren, bei denen Ketonkörper zu Energieverlust und gebremstem Wachstum bei Krebszellen geführt hatten [2]. Neben einem direkten Effekt der Ketonkörper sollte auch die Absenkung des Insulinspiegels das Krebswachstum bremsen. All diese plausiblen Effekte hatten die Autoren schon vor einigen Jahren als Begründung für ihren Studienansatz beschrieben [3].

Zusätzlich wird ein eigentlich nicht erwarteter Effekt der Ernährungsumstellung diskutiert: die Patienten reduzierten die Nahrungsaufnahme um durchschnittlich 35%. Ein positiver Effekt einer „caloric restriction“ von just 30 bis 40% wird in der medizinischen Forschung für die Krebsprävention, zur Verzögerung des Auftretens von Krebs oder auch im Rahmen der Krebstherapie vermutet. Gegen diese Interpretation spricht allerdings, dass der Grad der Nahrungsreduktion nicht mit dem Verlauf der Erkrankung korreliert war, eben im Gegensatz zur Ketose. Auch der Gewichtsverlust der Patienten (im Durchschnitt um 4%) war nicht mit dem Verlauf korreliert.

Unabhängig vom Effekt auf das Tumorwachstum stellt sich natürlich die Frage, wie dieser Gewichtsverlust zu interpretieren ist. Ziel einer fettreichen Ernährung ist ja, die Auszehrung bei Krebspatienten zu lindern oder zu verhindern. Aber keiner der zehn Patienten war untergewichtig oder kachektisch, ganz im Gegenteil, die meisten hatten Übergewicht. Es waren gerade die Patienten mit dem stärkeren Übergewicht, die am meisten abgenommen hatten. Ein normalgewichtiger Patient hat sogar zugenommen, trotz reduzierter Kalorienaufnahme. Schon Wolfgang Lutz hatte bei seinen Patienten beobachtet, dass eine Ernährung mit wenig Kohlenhydraten bei Übergewichtigen zu Gewichtsverlust, bei Untergewichtigen aber zu einer Zunahme des Körpergewichts führt [4]. Übergewichtigen Krebspatienten wird generell eine Gewichtsreduktion empfohlen [5].

Die an der Studie beteiligten Ärzte beurteilen den Gewichtsverlust der Teilnehmer denn auch keineswegs als gesundheitsschädlich. Insgesamt haben die Teilnehmer die Ernährungsumstellung gut vertragen, alle Untersuchungen fielen positiv aus. Unter anderem wurden auch die für die Nierenfunktion relevanten Kreatininwerte gemessen, eine ketogene Diät steht ja unter Verdacht, schädlich für die Nieren zu sein. Statt einer Verschlechterung der Werte wurde bei einer Person sogar eine deutliche Verbesserung gemessen.

Als Zukunftsperspektive sehen die Autoren die Kombination einer ketogenen Ernährung mit „konventionellen“ Behandlungsstrategien. Tatsächlich sind in Tierversuchen vor kurzem erstaunliche Ergebnisse in Verbindung mit Bestrahlung beobachtet worden [6], das Thema eines anderen Artikels.

1.    Fine, EJ, Segal-Isaacson, CJ, Feinman, RD, Herszkopf, S, Romano, MC, Tomuta, N, Bontempo, AF, Negassa, A, Sparano, JA (2012) Targeting insulin inhibition as a metabolic therapy in advanced cancer: A pilot safety and feasibility dietary trial in 10 patients. Nutrition 28:1028-35 (abstract)
2.    Fine, EJ, Miller, A, Quadros, EV, Sequeira, JM, Feinman, RD (2009) Acetoacetate reduces growth and ATP concentration in cancer cell lines which over-express uncoupling protein 2. Cancer Cell Int 9:14
3.    Fine, EJ, Segal-Isaacson, CJ, Feinman, R, Sparano, J (2008) Carbohydrate restriction in patients with advanced cancer: a protocol to assess safety and feasibility with an accompanying hypothesis. Commun Oncol 5:22-26
4.    Lutz, W (1998) Leben ohne Brot : die wissenschaftlichen Grundlagen der kohlenhydratarmen Ernährung. 14. Aufl. ed. Gräfelfing, Informed
5.    Arends, J (2010) Metabolism in cancer patients. Anticancer Res 30:1863-8 (abstract)
6.    Abdelwahab, MG, Fenton, KE, Preul, MC, Rho, JM, Lynch, A, Stafford, P, Scheck, AC (2012) The ketogenic diet is an effective adjuvant to radiation therapy for the treatment of malignant glioma. PLoS One 7:e36197