Sind Sojaprodukte wegen der Phytoöstrogene riskant?

Einige Leserinnen mit Brustkrebs sind besorgt über die Möglichkeit, dass die in Sojaprodukten enthaltenen östrogenähnlichen Substanzen das Tumorwachstum stimulieren könnten. Einer Leserin ist auch von ihrer behandelnden Gynäkologin „dringend von Sojaprodukten abgeraten“ worden. Tatsächlich ist in Zellkulturen und Tierversuchen gezeigt worden, dass die im Soja enthaltenen Isoflavone, speziell Genistein, das Wachstum von östrogenrezeptorpositiven Brustkrebszellen anregen. Auf der anderen Seite sind in epidemiologischen Studien bei Menschen meist positive Effekte von Sojaprodukten gezeigt worden, einerseits beugen sie einer Erkrankung vor und andererseits reduzieren sie bei bereits aufgetretenen Erkrankungen die Rate der Rückfälle. Dementsprechend gibt es widersprüchliche Meinungen und Empfehlungen, auch unter Medizinern.Eine Ursache für die irritierenden Widersprüche haben Ernährungswissenschaftler und Onkologen bereits vor knapp zehn Jahren beklagt: Das Durcheinander unterschiedlichster Untersuchungen und der undifferenzierten Interpretationen ihrer Bedeutung [1]. So kommt es zu pauschalen Schlussfolgerungen wie „Soja ist gesund“ oder auch „Soja ist gefährlich“ ohne Einordnung der zugrunde liegenden Ergebnisse: Handelt es sich um Zellkulturen, Mäuse, Menschen? Geht es um ein konkretes Sojaprodukt oder um einen isolierten Inhaltsstoff?

Kenntnis der Details ist nötig, um zu differenzierten Schlussfolgerungen zu kommen. Die relevante Frage ist: Wie ist das Risiko einzuschätzen, dass der Verzehr von Sojaprodukten das Wachstum von vorhandenen hormonabhängigen Tumoren stimuliert? Die Frage stellt sich, weil ein isolierter Inhaltsstoff von Soja, das Isoflavon Genistein, ähnlich wie Östrogen das Wachstum von transplantierten menschlichen östrogenabhängigen Brustkrebszellen in Mäusen ohne Ovarien ermöglicht [2]. Ist dieses Ergebnis aber relevant für den Verzehr von Soja mit vielen anderen Inhaltsstoffen? Die Antwort liefert ein systematisches Experiment, in dem nicht nur reines Genistein verwendet wurde, sondern verschiedene Mischungen von Sojabestandteilen [3]. Reines Genistein stimulierte das Krebswachstum wie erwartet, aber schon eine Mischung von Genistein mit anderen Isoflavonen war weniger wirksam. Bei einer Sojapaste („Molasse“) im Futter wuchsen die Tumoren kaum noch, und bei Sojamehl blieb das Wachstum ganz aus. Wichtig: Dem Sojamehl war eine Mischung von Isoflavonen zugesetzt worden, damit alle verschiedenen Futtermischungen denselben Anteil an Genistein hatten wie das Futter mit dem reinen Genistein, bei dem ein deutliches Tumorwachstum beobachtet wurde. Es macht also einen Unterschied, ob Genistein in isolierter Form oder im Kontext aller anderen Bestandteile von Soja konsumiert wird.

Somit ist der Widerspruch zwischen den Ergebnissen von Tierexperimenten mit reinem Genistein und den Beobachtungen bei Frauen mit Brustkrebs nicht mehr ganz so irritierend. Diese Studien haben nie einen negativen Effekt von Sojakonsum (also wenn Tofu, Miso oder andere Soja-Lebensmittel gegessen werden) angezeigt, ganz im Gegenteil. So gab es bei Brustkrebspatientinnen in China signifikant weniger Rückfälle und Todesfälle in der Gruppe mit dem höchsten gegenüber dem geringsten Konsum von Sojaprotein [4]. Das galt auch für Patientinnen, die mit Tamoxifen behandelt wurden. Auch amerikanische Patientinnen profitieren vom Verzehr von Soja. Das zeigt ein Vergleich von Daten aus den USA mit Daten aus China: In beiden Staaten führte ein hoher Sojakonsum zu weniger Rückfällen (signifikant) und zu geringeren Sterberaten (aber nicht signifikant) [5]. Eine Metaanalyse von insgesamt 11.206 Patientinnen zeigte sowohl eine geringere Sterberate als auch weniger Rückfälle bei hohem Sojakonsum, bei Frauen vor als auch nach der Menopause, und sowohl bei rezeptorpositiven als auch -negativen Tumoren [6].

Es scheint also nicht zwingend zu sein, von „Sojaprodukten dringend abzuraten“. Jedenfalls nicht, wenn es um Lebensmittel geht, die vor allem als Proteinquelle dienen. Anders könnte die Einschätzung ausfallen, wenn es um Präparate oder Extrakte mit hohem Isoflavongehalt geht, wie sie mancherorts zur Milderung von Menopausesymptomen empfohlen werden. Obwohl eine negative Wirkung unseres Wissens nach bisher nicht gezeigt wurde, wird doch allgemein vom Einsatz bei einer bestehenden Brustkrebserkrankung abgeraten.

Die meisten Daten zur positiven Wirkung von Soja bei Krebserkrankungen kommen aus dem asiatischen Raum, wo traditionelle Zubereitungen konsumiert werden. Insofern ist es wohl empfehlenswert, Soja möglichst in einer dieser lang bewährten Formen wie etwa Tofu oder Miso zu sich zu nehmen.

1.    Erdman, JW, Jr., Badger, TM, Lampe, JW, Setchell, KD, Messina, M (2004) Not all soy products are created equal: caution needed in interpretation of research results. J Nutr 134:1229S-1233S
2.    Hsieh, CY, Santell, RC, Haslam, SZ, Helferich, WG (1998) Estrogenic effects of genistein on the growth of estrogen receptor-positive human breast cancer (MCF-7) cells in vitro and in vivo. Cancer Res 58:3833-8
3.    Allred, CD, Allred, KF, Ju, YH, Goeppinger, TS, Doerge, DR, Helferich, WG (2004) Soy processing influences growth of estrogen-dependent breast cancer tumors. Carcinogenesis 25:1649-57
4.    Shu, XO, Zheng, Y, Cai, H, Gu, K, Chen, Z, Zheng, W, Lu, W (2009) Soy food intake and breast cancer survival. Jama 302:2437-43
5.    Nechuta, SJ, Caan, BJ, Chen, WY, Lu, W, Chen, Z, Kwan, ML, Flatt, SW, Zheng, Y, Zheng, W, Pierce, JP, Shu, XO (2012) Soy food intake after diagnosis of breast cancer and survival: an in-depth analysis of combined evidence from cohort studies of US and Chinese women. Am J Clin Nutr 96:123-32
6.    Chi, F, Wu, R, Zeng, YC, Xing, R, Liu, Y, Xu, ZG (2013) Post-diagnosis Soy Food Intake and Breast Cancer Survival: A Meta-analysis of Cohort Studies. Asian Pac J Cancer Prev 14:2407-12